Der Nord-Ostsee-Kanal oder auch

„Kaiser-Wilhelm-Kanal“

Im Heft der Arge Krone&Adler Nr. 31 hat mein Sammlerfreund Erich Wickersheim einen kleinen Artikel aus „Der Philatelist“ über die Sonderstempel, anlässlich der Kanaleinweihung 1895, veröffentlicht. Das weckte mein Interesse. Ich habe zwar alle 4 Sonderstempel zu diesem Anlass in der Sammlung, aber was war das denn für ein Ereignis und wie kam es zustande?

 

Pläne, einen solchen Kanal zu bauen, bestanden seit Jahrhunderten. Auch Standorte wo der Kanal verlaufen sollte gab es einige zur Auswahl. Dies wurde aus vielerlei Gründen nicht realisiert, oftmals wegen der Finanzen oder es scheiterte an der politischen Lage Schleswig-Holsteins. Die politische Lage zumindest änderte sich, nachdem Schleswig-Holstein (1867) von Preußen einverleibt wurde und durch die Gründung des Deutschen Reichs (1871). Zudem hat Reichskanzler Bismarck, der ein großer Verfechter des Kanalbaus war, die Reichsflotte nach Kiel verlegt und dort den neuen Haupthafen für den Ostseeraum geschaffen, was mit Sicherheit richtungsweisend für die weiteren Pläne war.

 

Im Jahre 1878 legte der Schiffsreeder Hermann Dahlström aus Hamburg, dem Reichskanzler und der damaligen Regierung eine Broschüre mit dem Titel „Die Ertragsfähigkeit eines schleswig-holsteinischen Schifffahrtskanals“ vor. Damit begann die eigentliche Planungsphase.

 

Im Jahre 1880 erhielt Dahlström den Auftrag, einen Vorentwurf einer Trasse vom Kriegshafen Kiel an die Elbmündung zu erarbeiten. Das Ergebnis dieser Ausarbeitung war eine Linienführung von Kiel über Rendsburg nach Brunsbüttel. Dieser Vorschlag blieb die Grundlage bis zur Verwirklichung. 

Diese Linienführung bedeutete für die Schifffahrt, im Vergleich zum normalen Seeweg über Kap Skagen (also um Dänemark herum), eine Verkürzung des Weges um über 400 Seemeilen! Am 16. März 1886 war es dann soweit. Reichskanzler Bismarck erwirkte die Unterzeichnung des Gesetzes zur Herstellung des Nord-Ostsee-Kanals durch Kaiser Wilhelm I.

Finanzieren sollte den Bau des Kanals eine Aktiengesellschaft unter Beteiligung des Reiches. Allerdings musste Preußen einer Vorauszahlung von 50 Millionen Mark zustimmen. Dies geschah ebenfalls per Gesetz, das Kaiser Wilhelm I. am 16. Juli 1886 unterzeichnete.

 

Bereits am darauffolgenden Tag wurde durch „Allerhöchste Verordnung“ die Errichtung einer Kaiserlichen Kanalkommission veranlasst, die ihren Sitz in Kiel haben sollte. Diese Kommission nahm ihren Dienst am 1. Oktober 1886 in Kiel auf. Vorher wurden an der fast 100 Kilometer langen Strecke noch mehrere Außendienststellen eingerichtet. Am Ende waren es 8 Bauabteilungen auf der gesamten Kanalstrecke, von der jede ca. 11 Kilometer zu bearbeiten hatte.

Gesetz vom 16. Juli 1886 zur Voraus Bereitstellung von 50 Millionen Mark durch Preußen.

Allerhöchste Verordnung zur Bildung der Kaiserlichen Kanalkommission vom 17. Juli 1886

 

Im Frühjahr 1887 erteilte das Reichsamt des Inneren der Kaiserlichen Kanalkommission den Auftrag, ein Programm für die Feierlichkeiten zur Grundsteinlegung auszuarbeiten. Man ging davon aus, dass der greise Kaiser Wilhelm I. zu diesen Feierlichkeiten nicht anreisen würde und legte das Programm dem Reichskanzler Bismarck zur Genehmigung vor. Als der Kaiser das Programm doch zu Gesicht bekam, sagte er: „Das Programm ist ja sehr schön, nur warum soll ich dort nicht dabei sein?

 

So kam es, dass die feierliche Grundsteinlegung auf dem Holtenauer Festplatz am 3. Juni 1887 durch den 90-jährigen Kaiser Wilhelm I. vorgenommen wurde. 

Der Festplatz zur Grundsteinlegung am Nord-Ostsee-Kanal bei Holtenau.

Leider gab es zu diesem Anlass keinen Sonderstempel.

Für den Bau des Kanals waren 8 Jahre vorgesehen, die Gesamtkosten des Projektes waren mit 156 Millionen Mark veranschlagt worden, davon waren alleine 11 Millionen Mark für den Grunderwerb zu zahlen. Am Ende der Bauzeit konnten beide Vorgaben eingehalten werden!

 

Die Arbeiter, die am Kanalbau eingesetzt wurden, kamen aus allen möglichen Gegenden, sogar dem Ausland, aus Oberschlesien, Galizien, Polen, Italien und Dänemark. Um die Arbeiter unterzubringen wurden an verschiedenen Orten entlang der Baustelle, insgesamt 12 Barackenlager errichtet, wo die Arbeiter auch verpflegt wurden. Jeder Arbeiter bekam für die dortige Unterkunft und Verpflegung 65 Pfennig pro Tag vom Lohn abgezogen. Für weitere Bedürfnisse gab es in jedem Lager eine Kantine, wo zu günstigen Preisen eingekauft werden konnte. So kosteten z.B. eine Flasche Bier (0,75 l) 8 Pfennig, 250 g Wurst 15 Pfennig. Branntwein allerdings kostete je Liter 80 Pfennig, wohl aus gutem Grund.

Vorderansicht des Verwaltungsgebäudes des Barackenlagers für Arbeiter in Brunsbüttel und Grundriss des Verwaltungsgebäudes, links beginnend mit den Räumen der Verwaltung des Hausvaters. Das Mittelstück beherbergte die Gaststube mit Laden. Es folgt die Küche mit dem 22 Meter langen Speise- und Versammlungsraum, über dessen Mitte ein kleiner Glockenturm für den Gottesdienst errichtet war. Dahinter lag eine 40 m² große Waschküche, ein kleiner Baderaum, ein Desinfektionsraum und ein Behandlungsraum mit Wartezimmer für die Leichtverletzten oder Kranken.

Als Lohn erhielten einfache Erdarbeiter für eine Schicht von 12 Stunden, später 10 Stunden, 3 Mark bzw. 2,50 Mark. Die Handwerker erhielten einen Stundenlohn von 45 Pfennig. Diesen senkte die beauftragte Baufirma im Januar 1894 auf 35 Pfennig. Nachdem die Handwerker daraufhin im Februar 1894 die Arbeit niederlegten, wurde der Stundenlohn ab März 1894 wieder auf 42 Pfennig angehoben.

 

Insgesamt waren am Kanalbau beschäftigt:

 

1888-89              ca. 3000 Mann

1889-90              ca. 6000 Mann

1890-91              ca. 7230 Mann

1891-92              ca. 7114 Mann

1892-93              ca. 7086 Mann

1893-94              ca. 7264 Mann

1894-95              ca. 5918 Mann

 

Die höchste Zahl der beschäftigten Arbeiter wurde in den Monaten Juni-Juli 1892 erreicht, 8900 Mann!

Die geplante Bauzeit von 8 Jahren konnte exakt eingehalten werden. Im Sommer 1895 war das Bauwerk vollendet. Auch die veranschlagten Baukosten von 156 Millionen Mark wurden nicht überschritten.

 

Die pompösen Feierlichkeiten zur Einweihung des Kanals dauerten vom 19. bis 22. Juni 1895. Nur hierfür wurden 1,7 Millionen Mark von der Regierung, auch gegen das Veto der Sozialdemokraten, bereitgestellt.

 

Die Regierung nutzte die Gelegenheit, um dem deutschen Volk bewusst zu machen, was es seit Zusammenlegung der Staaten und der darauf erfolgten Reichsgründung, zu leisten im Stande war. Den zahlreichen ausländischen Gästen konnte die Wirtschaftsmacht des Deutschen Reiches sehr gut vor Augen geführt werden, denn der Kanal hatte durchaus auch militärische Aspekte. Er war für die internationale Zivilschifffahrt ebenso bedeutend wie für die militärische Nutzung durch die Marine des Deutschen Reichs.

 

Die Feierlichkeiten begannen in der Freien Hansestadt Hamburg am 19. Juni 1895. Die festlich geschmückte Stadt empfing an diesem Tag neben dem Kaiserpaar fast alle regierenden Fürstlichkeiten nebst Gefolge. Aus dem Ausland waren neben den zahlreichen Diplomaten auch höchste Marineoffiziere der meisten seefahrenden Nationen zugegen. Der Hamburger Bürgermeister gab am Abend im Rathaus ein Eröffnungsmahl, woran neben den 64 Gästen der Fürstentafel weitere 400 geladene Personen teilnehmen durften. Zur Unterhaltung der Gäste fand ein fast 3-stündiges Programm von Schaustellern statt. Hierfür wurde eigens auf der Alster eine künstliche Insel errichtet, welche  auf 750 Pfählen ruhte und eine Gesamtfläche von 5800 m² hatte. Der Abend endete mit einer Beleuchtung der Elbufer von Hamburg bis Blankenese zu Ehren des Kaisers und seiner Gäste.

 

Am späten Abend wurden die Gäste auf die im Hafen liegenden Schiffe gebracht. Kaiser Wilhelm II. begab sich an Bord seiner Yacht „Hohenzollern“. Der Schiffskonvoi, angeführt von der Kaiseryacht, legte gegen Mitternacht ab und fuhr elbabwärts in Richtung Brunsbüttel.

 

Im Morgengrauen des 20. Juni erreichte die Kaiserliche Yacht die Schleuse in Brunsbüttel, wo sich wohl die gesamte Bevölkerung bereits eingefunden hatte und die Flotte entsprechend begrüßte. Gegen 4 Uhr früh am 21. Juni zerschnitt die Hohenzollern das über den Kanal gespannte Band. Damit war der Kanal offiziell eröffnet und für die Schifffahrt freigegeben. Die Flottenparade, bestehend aus 24 Schiffen (davon 14 Schiffe aus dem Ausland), machte sich auf den Weg Richtung Ostsee. Die Flottenparade auf dem Weg nach Kiel glich einem einzigen Volksfest. Beide Seiten des Kanals waren von Zuschauern umlagert, die sich dieses Spektakel nicht entgehen ließen und die auch sicherlich Stolz auf dieses Bauwerk waren. In Rendsburg zum Beispiel begrüßte eine Musikkapelle jedes passierende Schiff mit der ihm entsprechenden Nationalhymne. Das lief auch programmgemäß ab, bis sich das letzte Schiff, die türkische Jacht „Fuad“ näherte. Da bemerkten die Musiker, dass die Noten der ihnen unbekannten türkischen Hymne fehlten. Sie wussten sich aber zu helfen und spielten kurzentschlossen „Guter Mond, du gehst so stille...“

Ansichtskarte Gruss vom Nord-Ostsee-Kanal

Die Motive, von links beginnend, zeigen den Leuchtturm bei Holtenau, Straßendrehbrücke bei Rendsburg (das erste Kriegsschiff passiert den Kanal), Brunsbüttelhafen, die Grünthalbrücke und die Schleuse bei Holtenau. 

Gegen 12:30 Uhr, nach 8,5 Stunden Fahrtzeit, erreichte die Flottenparade, angeführt von der Kaiseryacht, die Ostsee. Inzwischen hatten sich in Kiel weitere ausländische Kriegsschiffe eingefunden um sich ein Stelldichein mit der deutschen Flotte zu geben. Nachdem das letzte Schiff angekommen war, befanden sich neben den 53 deutschen Schiffen auch 53 Kriegsschiffe anderer Nationen im Kieler Hafen.

 

Der 21. Juni 1895 war der große Tag der Schlusssteinlegung durch den deutschen Kaiser in Holtenau auf dem dortigen Festplatz. Bei diesem Anlass wurde der Nord-Ostsee-Kanal „Kaiser-Wilhelm-Kanal“ getauft, zum Andenken an den 1888 verstorbenen Kaiser Wilhelm I., der maßgeblichen Anteil am zustandekommen des Bauwerkes hatte.

 

Im Anschluss fand im Hafen von Kiel eine Revue der anwesenden Schiffe statt, bevor am Abend in einer, eigens für diesen Anlass errichteten Halle, wiederum ein Festessen für geladene Gäste stattfand. Auch hierbei wurde ein unglaublicher Aufwand betrieben. Der Gast in der Halle hatte das Gefühl sich auf dem Deck eines großen Dreimasters zu befinden. Die Tafeln waren mit insgesamt 116.000 Rosen geschmückt und im Mittelpunkt stand die Takelage der 1849 erbauten Fregatte „Niobe“. 

Ansichtskarte mit Abb. des Holtenauer Festplatzes.

 

Die vier Sonderstempel zur Kanaleröffnung

 

 

 

Verwendungszeit:

11.6. bis 29.6.1895

 

 

 

Verwendungszeit:

15.6. bis 24.6.1895

 

 

 

 

Verwendungszeit:

17.6. bis 22.6.1895

 

 

 

Verwendungszeit:

23.6. bis 27.6.1895

Der Schlusstag der Feierlichkeiten am 22. Juni war nicht mehr dem Kanal, sondern der Verabschiedung der in- und ausländischen Gäste gewidmet.

 

Die an den 4 Festtagen doch hart strapazierten Reichstagsabgeordneten leisteten sich eine ganz besondere Abschlussfeier. Auf Einladung des Norddeutschen Lloyds fuhren sie anschließend um die Nordspitze Dänemarks, um Skagen herum nach Bremen, wahrscheinlich um einen Vergleich des nun „alten“ Wasserweges mit dem „Kaiser-Wilhelm-Kanal“ zu bekommen. Der Vergleich fiel erheblich deutlicher aus als geplant, denn das Schiff kam bei Skagen in einem schweren Sturm, wobei die Abgeordneten alle Parteischranken vergaßen und aus dem Festschiff ein Lazarettschiff wurde. Um die richtige Einschätzung des Wertes des Kanals brauchte man sich danach nicht mehr zu sorgen.

 

Die Fertigstellung des Kanals war auch der Beginn der Pauschalreisen per Schiff in Deutschland. Die ersten englischen Gruppenreisen wurden von der Hamburger Reiseagentur Carl Stangen nachgeahmt. Seine Gesellschaft firmierte später unter dem Namen Hapag Lloyd.

Ansichtskarte Gruss aus Kiel, von Carl Stangens Sonderfahrt 1895.

 

Quellenangabe:

 

Die Baugeschichte des Nord-Ostsee-Kanal von Walter Schulz 1986

 

Dokumentation zur 75-jährigen Wiederkehr der Eröffnung, W. Jensen 1970

 

Eigene Sammlung

 

Zudem bedanke mich auf diesem Wege bei den Sammlerfreunden Uwe Borchers (Brunsbüttel) und Josef Breitscheidel (Zweibrücken) für die Unterstützung.